Kürzlich war ich eingeladen, auf einer Veranstaltung in Süddeutschland über New Work zu sprechen. Süddeutschland steht wirtschaftlich gut da, Mitarbeiter sind schwer zu finden – „der Markt ist wie leergefegt“ bestätigten mir erst kürzlich zwei befreundete Unternehmerinnen aus dem Münchner Raum. Und so war auch das Thema Fachkräftemangel ein großes auf dieser Veranstaltung. Wie gewinnt man Fachkräfte? Wie hält man sie? Mehr als 100 Unternehmer und Unternehmerinnen waren zusammengekommen, um sich darüber auszutauschen.
Dabei ist mir der Fachkräftemangel manchmal ein Rätsel: Wir sind so gut ausgebildet wie nie zuvor und es sind schon lange nicht mehr nur die Männer, die erwerbstätig sind, sondern da draußen sind auch viele sehr gut ausgebildete Frauen. Woher kommt also das Problem bei so vielen Arbeitskräften?
Ich bin der Meinung: Der Fachkräftemangel ist auch ein bisschen hausgemacht.
Wenn ich mir die Recruitingverfahren anschaue, schüttelt es mich manchmal. Wie viele BewerberInnen werden mit ellenlangen Online-Formularen geärgert, in die sie haarklein jede einzelne Station ihres Lebenslaufes eintragen müssen – um ihn dann hinterher noch einmal in Gänze hochladen zu müssen? Wie lange dauert es, bis sie eine Antwort bekommen? Wie lange dauern Einstellungsverfahren insgesamt in Deutschland?
„Die klassische Stellenausschreibung mit dem Rattenschwanz, den sie hinter sich herzieht, ist doch ein Relikt aus einer anderen Zeit“
Auf dieses komplizierte und zeitraubende Prozedere zu setzen ist umso verwunderlicher, weil sich Bewerbungsverfahren sowieso derzeit massiv verändern. Die klassische Stellenausschreibung mit dem Rattenschwanz, den sie hinter sich herzieht, ist doch ein Relikt aus einer anderen Zeit – wenn ich mich umschaue, werden doch schon heute viele Stellen auf ganz anderen Wegen besetzt.
Trotzdem halten viele Unternehmen daran fest. Ja, oftmals ist die klassische Stellenanzeige noch immer wesentlicher Pfeiler der Außenkommunikation im Bewerbungsprozess. Und dann stehen da drei, vier, fünf Absätze mit Dingen, die man von seinem zukünftigen Kollegen erwartet und in der Rubrik „Was wir bieten“ lediglich „Eine herausfordernde Tätigkeit in einem netten Team“ – nichts weiter.
Ein Bewerbungsverfahren ist ein Dialog, ein Akt der Kommunikation. Und je wertschätzender er abläuft umso besser. Das gilt hier ganz genau so wie auch bei einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Es verwundert mich nicht, dass sich potenzielle Kollegen auf diese verstaubte und einseitige Weise nur schwer ansprechen lassen.
„Obwohl das Whiteboard ganz und gar analog da stand, war das ein digitaler Prozess par excellence!“
Doch der Fachkräftemangel ist nicht nur ein Kommunikationsproblem zwischen BewerberIn und Unternehmen. Auch da, wo sie ins Gespräch kommen, gibt es Missverständnisse.
Ich war in Süddeutschland wieder einmal überrascht, wie kreativ Unternehmen sind und was sie heute schon ermöglichen – auch fernab des hippen Berlins mit seinen Co-Working-Spaces. Da war der Mittelständler, der von seinem neuen Bürogebäude erzählte, dass er so baut, dass es modernen Anforderungen genügt, aber auch leicht umgebaut werden kann, wenn sie sich wandeln – mit verstellbaren Tischen, Glaswänden und Rückzugsräumen. Oder der andere Mittelständler, der mit seinen Mitarbeitern alle sechs Monate in Klausur geht und die Unternehmensziele gemeinsam mit ihnen in einem iterativen Prozess erarbeitet.
Oder die Frau aus der Pflegeinrichtung, die berichtete, wie sie sich ein einfaches, aber wirksames Tool gegeben hatten, um ihre Gruppen zu steuern: Sie notieren Probleme und Aufträge auf Boards, und machen dort auch sichtbar, wie sie sie gelöst haben. Was ich besonders toll fand: Sie berichtete, wie sie dieses Tool entwickelt hatten – indem sie rausgegangen waren und sich in anderen Unternehmen umgeschaut hatten. Durch Anschauung und Nachahmung lernten sie und passten es so lange an, bis es zu ihren Bedürfnissen passte. Und obwohl das Whiteboard ganz und gar analog da stand, war das ein digitaler Prozess par excellence!
„Den Unternehmen gelingt es offenbar zu selten, ihre Geschichten nach außen zu erzählen.“
Das sind tolle Beispiele, die mich begeistern. Und sie zeigen: New Work wird schon an viel mehr Orten gemacht, als wir manchmal denken. Und New Work ist ein echter Standortvorteil! Sie bietet viel an, mit dem man sich im Markt positionieren kann. Solche Initiativen können den Unterschied machen, wenn ein Unternehmen Fachkräfte sucht.
Jedoch: Den Unternehmen gelingt es offenbar zu selten, ihre Geschichten nach außen zu erzählen. Große Konzerne, die bekannt sind, die ihre Geschichten bereits erzählt haben, bekommen tausende Bewerbungen jedes Jahr – viel mehr, als sie Menschen einstellen können. Deshalb bin ich fest davon überzeugt: Wenn auch kleinere Unternehmen ihre Geschichten erzählen und in echte Kommunikation mit ihren BewerberInnen gehen würden, würde sich manche Mangelsituation entschärfen.
Das heißt nicht, dass jetzt die Marketingbudgets auf Dax-Konzern-Niveau hochgefahren werden müssen oder dass auch das kleinste Unternehmen bloggen und instagrammen muss bis die Schwarte kracht – aber wenn es heißt, die eigene Haltung im Recruitingsprozess zu analysieren und sich ehrlich zu fragen: Wie gehe ich denn auf die Bewerber zu?, dann ist schon viel gewonnen. Dazu gehört für mich auch, sich zu fragen, was man dem Bewerber denn wirklich anbieten kann (und damit meine ich nicht den Bionade-Kühlschrank). Und was Bewerber wollen, kann man übrigens ganz leicht herausfinden: Indem man die eigenen Mitarbeiter fragt.
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