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Was den Kulturwandel in deutschen Unternehmen so schwierig macht

Redaktion
Veröffentlicht: 24 Januar 2020
Upgedatet: 17 Februar 2023
Was den Kulturwandel in deutschen Unternehmen so schwierig macht - Babbel für Unternehmen

Kürzlich sprach ich auf einer Führungskräftetagung über den Wertewandel in der Arbeitswelt und über Digital Leadership. In meiner Lesart ist Digital Leadership das Übernehmen von Verantwortung, für sich selbst und für andere, unabhängig von einer hierarchischen Führungsposition. Digital Leadership ist Mitdenken. Es ist das Wissen, in einer Netzwerkstruktur zu agieren und dass man sendend und empfangend gleichermaßen ist.

Es war einer dieser Vorträge, bei dem man schon beim Sprechen merkt, dass man Irritation hervorruft. Das ist in Ordnung für mich – manchmal werde ich eingeladen, um Nachdenkprozesse anzuregen, Fragen zu stellen oder Impulse zu setzen. Dann geht es nur in zweiter Linie um den tatsächlichen Inhalt meines Vortrages, sondern eher darum, einen Nachdenkprozess anzustoßen.

Was mir aber immer wieder auffällt: Dass die Häuser mit der größten Irritation Themen wie Kulturwandel oder Digitalisierung gegenüber oftmals auch die Häuser sind, in denen die Organisation drumherum am kompliziertesten ist. Ich war einen Tag bei dieser Organisation vor Ort und habe eine knappe Stunde gesprochen. Etwa einen ganzen Tag habe ich mittlerweile außerdem damit verbracht, vorher mein Angebot immer wieder umzuschreiben und hinterher meine Rechnung und meine Spesenabrechnung genauso. Im Verlauf dieses unendlichen Prozesses habe ich mit unzähligen unterschiedlichen Menschen telefoniert und gemailt. Ich habe ehrlich gesagt schon lange den Überblick verloren.

Ich weiß nicht, durch wie viele Abteilungen dieses Hauses ich mich bereits hindurchkommuniziert habe. In jeder dieser Abteilungen habe ich unterschiedliche Auskünfte bekommen. Die Menschen in diesen Abteilungen verwalten vor allem – nach unterschiedlichen Maßgaben. Und vor allem: Sie sind unermüdlich darin, diese Maßgaben umzusetzen, so wenig nachvollziehbar sie auf mich als Externe auch wirken mögen.

Noch an keiner Stelle hatte ich bisher das Gefühl, dass dieser Prozess kritisch hinterfragt würde oder dass es Verständnis für meine Situation gäbe – dass ich nicht weiß, an welche Vorgaben ich mich halten soll und dass es vor allem unzumutbar für mich ist, dass ich bereits so viel Zeit und Kraft hineininvestieren musste und Wochen später noch immer kein Honorar erhalten habe.

„Manche Strukturen in Unternehmen sind so eng um die Menschen gestrickt, dass es einen großen Kraftakt erfordern würde, sich aus ihnen zu befreien.“ Inga Höltmann

Solchen Strukturen begegne ich aber nicht zum ersten Mal in meiner Arbeit. Und sie sind für mich aus meiner Kulturwandel-Perspektive sehr interessant. Sie sind es, die die Transformation gerade in Deutschland so schwierig machen: Manche Strukturen in Unternehmen sind so eng um die Menschen gestrickt, dass es einen großen Kraftakt erfordern würde, sich aus ihnen zu befreien. Viele Menschen haben keine Kraft und keinen Mut dafür und verlieren sich darüber hinaus so sehr im alltäglichen Klein-Klein, dass ihnen nach und nach das große Ganze aus dem Blick gleitet. Und je engmaschiger die Strukturen, umso stärker ausgeprägt oftmals auch die Sanktionskultur im Unternehmen, was es noch unwahrscheinlicher macht, dass Menschen diese Strukturen hinterfragen und sie durchbrechen.

Und ich denke außerdem, dass auch die immer noch recht langen Verweildauern in Unternehmen unsere Transformation erschweren. Zwar ändert sich das gerade, die Verweildauern in Unternehmen nehmen ab (und zwar nicht immer aus wünschenswerten Gründen, zum Beispiel durch befristete Verträge), doch lange Verweildauern in Unternehmen tragen dazu bei, dass man betriebsblind wird. Man ist gewöhnt an die Strukturen und die Prozesse, beugt sich den Regeln, nimmt die passende Haltung ein. Dass es auch anders gehen könnte, gerät aus dem Blick, weil man es nicht erfährt.

„Grundbedingungen für Neue Arbeit: Über unsere Arbeit, über unsere Wünsche und Werte gemeinsam nachzudenken.“ Inga Höltmann

Ein Purpose der Tätigkeit, der über das Unternehmen hinausgeht, geht dann manchmal verloren: Die Tätigkeit ergibt Sinn in dem Umfeld, in dem sie entstanden ist, doch die Einordnung aus einer Vogelperspektive fehlt. Das ist auch das Umfeld, in dem Jobs entstehen, die der Ethnologe David Graeber „Bullshitjobs“ genannt hat: Sinnlose Jobs, die nur in dem System, in dem sie entstanden sind, überhaupt einen gewissen Sinn ergeben. Was ihnen gemein ist: Wer sie ausführt, darf nicht zu genau über sie nachdenken.

Das ist aber – fatalerweise – eine der Grundbedingungen für Neue Arbeit: Über unsere Arbeit, über unsere Wünsche und Werte gemeinsam nachzudenken. Deshalb denke ich, dass wir Bullshit-Jobs nicht abschaffen müssen, um uns zu transformieren, sondern dass wir sie automatisch verlieren werden, wenn wir unsere Arbeitswelt umbauen. Wenn wir uns trauen, Prozesse und Strukturen zu hinterfragen, sie vielleicht abzuschaffen und vor allem solche „Störer“ nicht länger sanktionieren. Das wird weh tun, aber auch unglaublich befreiend sein.

Komplizierte Verwaltungsprozesse zu managen, sind keine Bullshit-Jobs, Graebers Lesart geht darüber hinaus. Frustriert bin ich trotzdem ein wenig. Doch dass ich mein Honorar nicht doch noch irgendwann bekomme, diese Hoffnung habe ich noch lange nicht aufgegeben.

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