Eine Bewerbung ist ein Akt der Kommunikation, ein gegenseitiges Kennenlernen, es ist ein Gespräch – im besten Falle auf Augenhöhe. Dass Unternehmen das jahrelang anders gehandhabt haben, ändert nichts daran, dass beide Seiten einander kennenlernen sollten und dass es legitim ist, als Bewerber oder Bewerberin ein wenig hinter die Kulissen zu schauen. Ich empfehle jedem, den Auswahlprozess für sich zu nutzen: Nutzt die sich bietenden Kontaktpunkte, um herauszufinden, ob das Unternehmen zu Euch passt. Das geht am besten mit den richtigen Fragen – hier sind einige Vorschläge von mir.
1. Wie hat sich das Unternehmen in den letzten Jahren verändert?
Diese Frage zielt auf den angeschobenen Wandel der letzten Jahre ab: Ist ein Kulturwandel bewusst vorangetrieben worden? Auf welche Art und mit welchen Methoden? Die Antwort auf diese Frage offenbart, welchen Stellenwert Wandel und Veränderung im Unternehmen einnehmen, wie konsequent sie verfolgt werden und mit welchen Mitteln. Ihr erfahrt, ob hier jemand aus einem Unternehmen vor Euch sitzt, das konstante Veränderung als wesentliche Zutat versteht oder ob es gar ein Unternehmen ist, das durch diese Zeit mäandert und in dem man hofft, dass dieser ganze Hype bald wieder vorbei ist.
2. Wie würdet ihr den Führungsstil im Team beschreiben?
Wenn hier eine inhaltliche Antwort kommt: Sehr gut. Das zeigt, dass man sich hier wenigstens mit dem Thema auseinander setzt – denn obwohl es in (fast) jeder Firma Chefs gibt, wird noch immer nur in einem Bruchteil der Unternehmen wirklich über Führung reflektiert.
Hört hier genau hin und versucht herauszufinden, ob es eine Führung auf Augenhöhe ist oder eine partnerschaftliche, dienende Führung oder eher die etwas old school Manager-Führung. Wenn ihr das wisst, könnt ihr Euch damit auseinander setzen und entscheiden, ob ihr so arbeiten wollt oder nicht.
Wenn ihr hier aber nur einen verständnislosen Blick erntet: Lauft.
3. Wie wird Neue Arbeit bei Euch gelebt?
Wenn Neue Arbeit das Home Office ist: Besser als nichts. Aber das kann auch ein Hinweis darauf sein, dass es in vielen Belangen noch ein recht weiter Weg sein könnte. Und das kann mühsam werden – mit allem, was dazu gehört: Arbeit am Menschenbild oder den Werten im Unternehmen sind wesentliche Bestandteile des Weges zu Neuer Arbeit, aber sie greifen auch stark in die DNA des Unternehmens ein. Wenn das Unternehmen hier noch recht am Anfang steht, liegt noch ein langer, vielleicht sogar schmerzhafter Prozess vor Euch. Das ist nicht per se gut oder schlecht, aber ihr solltet am Ende des Bewerbungsprozesses einschätzen können, was Euch erwartet – um Euch darüber klar zu sein, ob ihr diesen Weg mitgehen wollt oder nicht.
4. Wie viele Männer arbeiten bei Euch in Teilzeit?
Die Antwort auf diese Frage kann einerseits einen Hinweis darauf geben, wie weit das Unternehmen mit individueller Arbeitszeitgestaltung ist, andererseits aber auch, wie es um die Geschlechterrollen im Unternehmen bestellt ist – welche Menschen dort arbeiten, ob die Männer überhaupt in Teilzeit gehen wollen, aber auch, ob es für sie im Unternehmen die Möglichkeit dazu gibt.
Bei dieser Frage ist aber auch aufschlussreich, wie der Mensch, der da vor Euch sitzt, darauf reagiert. Wenn er verwundert über diese Frage ist oder nicht recht weiß, wie sie zu beantworten ist, erzählt auch das schon eine Menge über ihn und das Unternehmen.
5. Wie viele Teilzeitformate habt ihr?
Dies ist eine verwandte Frage zur vorhergehenden, sie zielt aber in eine etwas andere Richtung: Weniger auf das Geschlechterverhältnis, sondern mehr in Richtung einer modernen Organisationsform. Wenn Teilzeit im Unternehmen möglich ist: Gut. Wenn sie auch noch gewünscht ist: Umso besser. Wenn sie miteinander gestaltet und ausgehandelt werden kann: Am besten. Das zeigt, dass die Organisation schon einige wichtige Schritte gegangen ist.
6. Überprüft ihr, wie erfolgreich ihr darin seid, Eure Gender Pay Gap zu schließen?
Viele Unternehmen haben es durchaus auf dem Schirm, dass die Geschlechter in der Arbeitswelt durchaus unterschiedlich bezahlt werden, und viele von ihnen unternehmen auch echte Anstrengungen, sie zu verringern. Aber ob es ein Unternehmen mit Gerechtigkeit, Vielfalt und Transparenz wirklich ernst meint, kann man ziemlich gut an der Antwort auf diese Frage ablesen: Denn in den meisten Unternehmen, die aktiv gegen ihre Gender Pay Gap vorgehen, fehlt die Kontrolle hinterher, wie erfolgreich sie mit diesen Anstrengungen tatsächlich sind. Diese Rückkoppelung ist aber sehr wichtig, denn ein bisschen Anstrengung reicht eben nicht aus – das muss schon ein bisschen mehr sein, um wirksam zu sein.
7. Welche Art von Menschen sind erfolgreich bei Euch?
Das ist eine etwas komplizierte Frage. Sie zielt darauf ab herauszufinden, welcher Typ Mensch sich im Unternehmen offenbar durchsetzt und welche Formen der Zusammenarbeit vorherrschen. Sie ist ganz sicher nicht einfach zu beantworten und wird in vielen Fällen sicher eher der Auftakt für ein Gespräch über Werte und Menschenbild sein. Aufschlussreich wird es aber allemal sein – auch zu sehen, inwieweit Euer Gegenüber bereit und fähig ist, sich auf diese Frage einzulassen oder wie offen und reflektiert er mit ihr umgeht.
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